Kraftsport mit Handicap

 

Es freut mich wirklich sehr dir den Andy vorstellen zu können. Ich arbeite mittlerweile auch schon seit 6 Jahren als Physiotherapeut und wenn man die 3 Jahre Ausbildung dazunimmt, komme ich auf 9 Jahre die ich im medizinischen Bereich arbeite. Doch eine solche Geschichte, hatte ich zuvor noch nie gehört!

Die Diagnose: Angeborene proximale Unterarm Synostose von Radius und Ulna mit kompletter Aufhebung der Rotation durch fehlendes Radiusköpfchen im linken Unterarm.

Um den Unterschied zu verdeutlichen, hier im vergleich zwei Röntgenbilder vom Ellenbogen.

 

 

Das heißt, beim Andy sind von Geburt an die Elle und Speiche des linken Unterarmes zusammengewachsen. Dadurch kann er zwar den Ellenbogen beugen und strecken, allerdings mittlerweile ist keine Rotation, also Drehung im Unterarm und Handgelenk mehr möglich.

Ich habe das mal einen kompletten Vormittag versucht nachzustellen und musste feststellen wie unglaublich beeinträchtigt ich war! Doch der Andy lebt nicht nur sehr gut damit, sondern er treibt intensiv Krafttraining und arbeitet in einem handwerklichen Beruf! Für mich wirklich eine wahnsinnig interessante und motivierende Geschichte!

Doch wie der Andy damit lebt, wie es ihn beeinflusst hat und warum er trotz allem Krafttraining betreib wird er dir selber erzählen.

 


 

Hi, mein Name ist Andy, ich bin 25 Jahre alt, arbeite als Kfz-Mechatroniker, liebe Kraftsport, Fußball, Football, sowie das Leben mit spontanen Ausflügen, Wellness und tanzen in vollen Zügen zu genießen. Ich lebe nach dem Motto „No matter what happens – life goes on“

 

 

Grundlegende Umstellung schon im Kindesalter

Soweit meine Erinnerungen zurückreichen wurden meine anatomischen Einschränkungen schon im Einschulungsalter von meinen Eltern festgestellt. Denn eigentlich war ich Linkshänder und so begann ich naturgemäß mit links zu schreiben, malen etc. Gemeinsam mit den Physiotherapeuten wurde ich gleich zu Beginn von links auf rechts umgeschult, sodass ich heute die meisten Dinge mit der rechten Hand erledige. Damals konnte ich mein linkes Handgelenk noch fast um 180 Grad nach oben drehen. Ich hatte einige Krankengymnastiksitzungen zu absolvieren, in denen der Bewegungsablauf und Krafteinsatz getestet wurde. Nach einiger Zeit verfestigte sich die Prognose, dass die Beweglichkeit meines linken Unterarmes durch das stetige Wachstum mehr und mehr darunter leiden wird. Eine hundertprozentige Diagnose zu stellen war allerdings, sowohl weil ich noch sehr jung war, als auch, weil den Ärzten so eine Besonderheit bisher noch nie untergekommen ist, nicht möglich. Als unbeschwertes, fröhliches Kind hatte ich kein Problem damit von links auf rechts umzuswitchen, für mich waren das alles nur minder wichtige Sitzungen und Diskussionen meiner Eltern mit den Physiotherapeuten.

 

Der Umgang mit einer anatomischen Einschränkung

Mit zunehmendem Alter und voranschreitendem Wachstum hat sich die Mobilität des Rotationsapparates weiter verschlechtert und ich konnte mein Handgelenk immer weniger drehen. Der Schulsport veranlasste jedoch zum ersten Mal, mich genauer damit auseinanderzusetzen. Denn dort war ich, im Gegensatz zum Rest der Klasse, an Umstellungen gezwungen, was nicht immer ganz einfach war. Zwar konnte ich in jeder Klasse im Sport die Bestnote vorweisen, gewisse Übungen am Reck oder in Kraftzirkeln konnte ich jedoch nicht oder nur in abgeänderter Form ausführen.

Weit über 10 Jahre habe ich damit verbracht mit Begeisterung Fußball zu spielen. Während der Ausübung dieser Sportart kann ich mich bis heute nicht an einen einzigen Moment erinnern, der mich an meine etwas ungewöhnliche Anatomie hätte denken lassen müssen.

Die wirkliche seelische Belastung durch meine „körperliche Einschränkung“ retuschiere ich also bis zum heutigen Tag dadurch, mich nicht den ganzen Tag damit zu beschäftigen, sondern meine Aufmerksamkeit darauf zu lenken, was ich alles ohne Probleme bewältigen kann.

Alles was ich damit sagen möchte ist, dass es auch mit gesundheitlichen/körperlichen Problemen möglich ist, nicht nur sportlich zu sein, sondern auch etwas zu erreichen. Man darf sich nur nicht einzig und allein auf das beschränken, was man vielleicht nicht als Profi betreiben wird können, aus welchem Grund auch immer. (Auch Profisportler haben oft Probleme, die zwar eventuell anderer Art sind, aber meist noch schlimmer als man glauben mag.)

Das mag oft nicht einfach sein, es geht auch nicht von einem Tag auf den anderen, aber wie so oft gilt hier auch: „aufstehen, Dreck abwischen, weitermachen“ – Ziele setzen – daran arbeiten.

„there´s no substitution for hard work“

 

Doch ganz so einfach war es zeitweise nicht

In größeren Abständen standen fortlaufend Sitzungen beim Physio an, der mir immer wieder die Frage stellte, ob ich denn keine Schmerzen hätte, auf die ich zum Glück immer mit „nein, nicht im Geringsten“ antworten konnte.

Zwar gewöhnt man sich mit der Zeit daran, etwas Angst war aber durchaus vorhanden. Ich wusste ja nicht, in wie weit es sich noch verschlimmern würde, was mir auch niemand mit wirklicher Sicherheit sagen konnte. Die Sachlage nichts tun zu können, schon gar nicht solange ich nicht ausgewachsen war, zwang mich etwa bis zum 17 Lebensjahr zum Abwarten.

Am Handgelenk und auch Anhand der Unterarmmuskulatur war mittlerweile nicht nur spürbar, sondern auch deutlich sichtbar, dass die Knochen, Muskeln und Sehnen etwas verquer gewachsen sind. Die Beweglichkeit des Unterarms ist seitdem nicht mehr gegeben. Beim Versuch der Rotation mit ausgestrecktem Arm dreht sich das Ellenbogengelenk etwa um 30-35 Grad, wobei sich der Unterarm selbst steif bleibt und sich einfach mit dreht. Beim Rotationsversuch des Handgelenks bewegt sich der ganze Arm inkl. der linken Schulter. Bildlich gesprochen sieht es aus wie ein spontaner Ententanz, weswegen ich es in der Öffentlichkeit verständlicherweise nicht wirklich sehr oft darauf anlege es vorzuzeigen.

Generell versuche ich meinen linken Unterarm etwas zu verstecken, deshalb verschwindet er oftmals in meiner Hosentasche oder ich halte ein Getränk in der Hand. Nicht weil ich so enorm darunter leide, sondern einfach, weil ich mich damit arrangiert habe und ich meine Person nicht mit dieser „Sachlage“ assoziiert haben möchte. Ab und an werde ich zwar darauf angesprochen, was aber auch nicht schlimm ist.

Es war an der Zeit sich Rat bei Spezialisten für Orthopädie und Unfallchirurgie einzuholen.

Es bleibt ein Einzelfall, jedoch kein Umstand, den man nicht mit einer OP beheben könnte. Allerdings liegt die Wahrscheinlichkeit, bei etwa 65%, dass die beiden Unterarmknochen nach kurzer oder längerer Zeit wieder zusammenwachsen. Was somit den ganzen Aufwand in Rauch aufgehen lassen würde. Deshalb bin ich bis heute der Meinung die Richtige Entscheidung getroffen zu haben und mich nicht operieren zu lassen, solange ich meinen Alltag ohne Schmerzen oder bedeutsame Einschränkungen absolvieren kann.

 

Der Weg zum Kraftsport

Trotz meiner Anatomie habe ich mich, entgegen der Bedenken vieler, dafür entschieden mich dem Kraftsport zu widmen, was noch viel mehr Menschen die mich kennen nicht verstehen konnten.

Mittlerweile kann ich sagen „ich habe mich gegen mein geliebtes Hobby und für meine Leidenschaft entschieden“.

Auch Aufgrund meines verwachsenen Armes und der Ungewissheit über den Umgang und der richtigen Ausführung vieler Übungen hatte ich öfter kleinere und größere „Wehwehchen“ zu beklagen, was mich aber nie vom Weg abbringen konnte. Bis heute bin ich beispielsweise dabei meine Griffweise bei Pull ups, Squats, Deadlifts, Dips oder den eigentlich simplen Bizepscurls zu perfektionieren und für mich das bestmögliche rauszuholen.

Mein Körper dankt mir meine etwas abgeänderte „range of motion“ öfter mal mit einem verspannten Nacken und angespannten Sehnen im Bereich zwischen Kopf und der rechten Schulter. Das jedoch kann man in den Griff bekommen, indem man regelmäßig Dehn-, Streckungs- und Entspannungsübungen durchführt. Zur Vorbeugung wärme ich z.B. vor jedem Training meine Rotatorenmanschette auf beiden Seiten auf.

 

 

Weiter, immer weiter!

Das Leben stellt einen immer wieder vor Herausforderungen, das ist mir mit meinen erst 25 Jahren schon des Öfteren aufgezeigt worden. Bei Erkrankungen oder Einschränkungen körperlicher Art, die dich für lange Zeit oder sogar für immer begleiten, gilt es immer Wege zu finden, das Positive rauszufiltern und auszuleben. Denn GENAU DAS wird dich weiterbringen und noch stärker werden lassen!

Ich freue mich sehr diesen Beitrag verfassen zu dürfen und hoffe den Ein oder anderen motivieren zu können, indem ich aus eigener Erfahrung sagen kann, es ist möglich auch mit körperlichen und/oder gesundheitlichen Einschränkungen sportliche Ziele zu erreichen, einen körperinvolvierenden Beruf auszuüben, sich nebenbei noch weiterzubilden und noch vieles mehr.

Die Reise ist das Ziel!


Falls ihr mehr über den Andy erfahren wollt, oder ihm persönlich fragen stellen möchtet, könnt ihr den Andy gerne über seinen Instagram Account anschreiben oder ihm folgen.

 

Sportliche Grüße